Zeugung / Erschaffung
Die Begriffe Erschaffung, Zeugung, Kuss sowie der aus dem englischen Original stammende Begriff Embrace (Umarmung) werden synonym verwandt.
Ein neuer Vampir wird erschaffen, indem ein Mensch getötet und dem Opfer im Augenblick des Todes Vampirblut eingeflößt wird. Die Erschaffung ist eine mystische Handlung. Es ist niemals sicher, ob eine Zeugung von Erfolg gekrönt ist. Vielleicht versagen die übernatürlichen Kräfte des vampirischen Blutes oder der menschliche Körper überlebt die Verwandlung vom Lebenden zum wandelnden Toten nicht. Für eine erfolgreiche Erschaffung ist der Kontakt zwischen Erzeuger und werdendem Nachkommen förderlich. Einer künstlichen oder entfremdeten Zeugung (z.B. unter Laborbedingungen, unter Zwang oder unter räumlicher Distanz beider Beteiligten) kann es an mystischer Verbindung und Kraft fehlen. Nur frisches Vampirblut, d.h. in derselben Nacht entnommen wie zugeführt, ist in der Lage, einen Nachkommen zu erschaffen. Andernfalls wohnt dem Blut nicht mehr ausreichend Kraft inne und eine Zeugung ist nicht möglich. Einzig über magische Wege konserviertes Blut kann auch über die Nacht der Entnahme hinaus zeugungsfähig bleiben.
Der Vorgang des Sterbens und der "Wiedergeburt" sind einschneidende Erlebnisse für einen Menschen bzw. frisch gezeugten Vampir. Die Verwandlung ist schmerzhaft, abstoßend, zerreißt Seele und Geist eines Menschen. Ob die Wandlung geistige Spuren hinterlässt oder nicht, liegt sowohl in der Persönlichkeit des Gezeugten als auch den Umständen der Erschaffung. Nach der Erschaffung muss sich der junge Vampir an ein vollständig anderes Dasein gewöhnen. In der Regel verbleibt ein Kind bei seinem Erzeuger, bis es die neue Existenz allein bestreiten kann und die Regeln der vampirischen Gesellschaft ausreichend beherrscht, um für sich selbst einstehen zu können. Der Weg als junger Vampir ist, am Boden der Gesellschaft stehend, mühsam und hart. Nicht alle jungen Vampire überdauern diese Phase.
Jeder Spieler sollte für seinen Charakter ergründen, wie die Erfahrungen seiner Zeugung aussehen, auf welche Weise sie die Figur verändert haben und wie der Charakter generell zu diesem Thema steht.
Die Erschaffung - Ein tieferer Einblick
[Quelle: LARP-Gruppe "Midnight Dance" Berlin, Dank an Andreas ASS Schroth, Text überarbeitet und gekürzt, Copyright originale Spielwelt "White Wolf"]
Die Erschaffung ist (in der Camarilla) ein zumeist aufwendiger Akt, denn der Erschaffer benötigt in aller Regel die Erlaubnis eines Fürsten und oft auch die Erlaubnis eines Ahnen seines Clans. Und diese sind niemals kostenlos, im Gegenteil: Die Erlaubnis, ein Kind erschaffen zu dürfen, gilt als ein hoher Gunsterweis eines Fürsten und somit als ein wichtiges Machtmittel, dessen Missbrauch ein Fürst niemals tolerieren wird – und ebenso wenig alle Erschaffer und Erschaffenen, die den nötigen Preis gezahlt haben und keine Gnade mit jemandem haben werden, der dies nicht tut.
Die Wahl des Kindes will gut überlegt sein, denn bis das Kind vor oder von einem Fürsten oder Ahnen zum Neonaten freigesprochen wird, ist der Erschaffer vollständig für dessen Taten verantwortlich – unbeabsichtigte Fehltritte inklusive. Potenzielle Kinder, auch "Erwählte" genannt, können Wochen, Monate oder gar Jahre beobachtet werden, ohne jemals zu bemerken, dass sie für die Unsterblichkeit in Betracht gezogen werden. Viele Erschaffer greifen lange vor der Zeugung verborgen in die Geschicke ihres Erwählten ein, lenken sein Leben in eine Richtung, die den Übertritt in die untote Existenz ebnen soll oder die besondere Eigenschaften und Fähigkeiten fördern soll, für die der Erschaffer Verwendung hat. Andere erschaffen ihr Kind ungeplant, vielleicht auch unbedarft, aus dem Affekt oder einer Laune heraus.
Wichtig: Die Umstände der Erschaffung eines Charakters sowie vor allem die Motivation des Erzeugers, ausgerechnet diesen Sterblichen als Nachkomme zu erwählen, sollten in der Charaktergeschichte beleuchtet werden. Ist der Charakter ein geplanter Spross oder ein beiläufig gezeugtes Kind? Das Wissen um die Umstände seiner Zeugung beeinflusst die innere Stabilität und das Mindset eines Charakters.
Nicht jeder, dem der Kuss gegeben wird, erhebt sich aus dem Tod. Nicht wenige Menschen versterben im Zuge der Verwandlung. Nur jene, die über eine gewisse mentale und körperliche Stärke verfügen, sind im Stande, sich von den Toten zu erheben. Und selbst von diesen sind einige zu schwach, um auch nur die ersten Jahre zu überdauern.
Es verlangt Übung und Überlegung für einen Vampir, jene besonderen Menschen zu erkennen, deren Tod kein friedliches Entschlafen sein wird, sondern die sich mit Vehemenz und Hunger ans Leben krallen werden, dass sie das Trauma der Erschaffung überstehen. Oft ist es nur ein Bauchgefühl, ein Wink des Schicksals. Aber manchmal irrt sich ein Vampir auch und ein auserkorener Mensch, dem er die Ewigkeit schenken wollte, stirbt in seinen Armen, weil er zu viel in ihm gesehen hat. Unter den Vampiren existiert teils die Vorstellung, dass man die Chancen auf einen erfolgreichen "Übertritt" durch äußere Umstände verbessern kann – etwa, indem man dem Erwählten im Moment vor dem Tod einen guten Grund gibt, der Verlockung des "Loslassens" vom Leben zu entgehen. Manche weihen den Menschen vor der Erschaffung ein, verführen ihn mit Ausschmückungen von den Freuden und der Macht der Unsterblichkeit. Andere nutzen die Sorge des Erwählten um einen geliebten Menschen, den sie bedroht sehen, dazu, ihn im Leben festzuhalten – nur um dem vor Hunger rasenden frisch gezeugten Vampir dann genau jenen Menschen als Beute vorzuwerfen.
Was auch immer den Erwählten über die Schwelle treibt: Ist die Zeugung erfolgreich, verwandelt sich der Körper und schüttelt dabei in aller Regel die Makel eines normalen sterblichen Körpers ab. Das Kind der Nacht erwacht wieder, aber sein Herz schlägt nicht mehr und sein Blut fließt nicht länger. Im Laufe der kommenden Wochen wird sein Inneres verrotten, sein Äußeres aber wird auf immer zeitlos bleiben, wie es im Moment des Todes war. Es ist jetzt einer der lebenden Toten. Beim Erwachen spürt das Kind einen immensen, nie gekannten Hunger, eine Gier nach Leben und Blut, die keinerlei Grenzen kennt. Dies ist die erste und für jeden Vampir unvergessliche Begegnung mit dem, was die Vampire die "innere Bestie" oder "das Tier" nennen. In aller Regel wird der Erschaffer dem Kind entweder selbst Blut geben oder ein Opfer bereithalten, an dem es seinen Hunger stillen kann. Ist dies nicht der Fall, wird das Kind in blindem Rasen davonstürmen und wahllos die erstbesten Menschen oder Tiere zu Tode bringen, bis sein Hunger gestillt ist.
Während der folgenden Wochen durchlebt das Kind unter Führung seines Erzeugers einige subtile oder auch weniger subtile Veränderungen. Es lernt, seine erwachenden übernatürlichen Kräfte zu gebrauchen. Es erfährt von dem in ihm tosenden Dämon und wie man ihn zwar nicht beherrschen, aber lenken und unter Verschluss halten kann – meistens. Es lernt zu jagen, was oft das Schwerste ist, doch sein Hunger lässt keine Alternative zu. Das Kind lernt auch, dass es nun wahrhaft tot ist. Höhere Gefühle und Leidenschaften sind Sachen der Sterblichen. Es wird vielleicht feststellen, dass es nur noch in seinen Erinnerungen Freude, Zufriedenheit und Hingabe empfinden kann, während die innere Bestie ihm neue Empfindungen von Hunger, Rivalität und unentrinnbarer Furcht vor Feuer und Sonne eingibt. Genau diesen Verlust aller "hellen" Gefühle und die Reduktion auf "dunkle" Instinkte von Macht, Missgunst und Durst nach Blut ertragen viele der jungen Vampire nicht. Einige entscheiden sich lieber für einen Gang in die Sonne als für eine Ewigkeit kalter Bequemlichkeit, in der die Erinnerung an Liebe und Freude immer mehr verblasst, bis auch sie bedeutungslos wird. Auf jene Vampire, die die ersten Nächte überstehen, wartet eine schier unendliche Welt der Dunkelheit.